Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hat in einem Volksentscheid für die Enteignung der Wohnungsunternehmen gestimmt. Das teilte die Landeswahlleitung mit. Allerdings ist das Votum für die Politiker rechtlich nicht bindend. Juristen sehen auch verfassungsrechtliche Grenzen. Der Volksentscheid der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ kam Anfang Juli 2021 mit genügend gültigen Unterschriften von Wahlberechtigten in Berlin zustande. Am 26. September – parallel zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zur Bundestagswahl – stimmten die Hauptstädter über die Frage ab, ob private Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in ihrem Bestand sozialisiert werden sollen. Mehr als die Hälfte (56,4 Prozent) kreuzte „Ja“ an. Etwa jeder Dritte (39 Prozent) lehnte den Plan ab.

Das Votum ist für die Politik allerdings nicht rechtsverbindlich. Die Initiative hat keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt: Der Senat ist lediglich aufgefordert, sich damit zu befassen. Eine politische Mehrheit für die Umsetzung der Pläne zeichnet sich bislang nicht ab – und die Karten wurden bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus ohnehin neu gemischt. Verschiedene Gutachten geben der „Enteignung“ keine Chance, schon wegen verfassungsrechtlicher Bedenken.

Jurist zur Enteignung: „Das Gesetz müsste sehr sauber formuliert sein“.

Dr. Esfandiar Khorrami, Rechtsanwalt und Partner bei Bottermann Khorrrami, hält die Aussichten auf das Zustandekommen eines Enteignungsgesetzes für unwahrscheinlich. Der Senat sei rechtlich nicht verpflichtet, die Pläne der Initiative umzusetzen – und die Chance, dass ein Gesetz in Kraft tritt, sei noch viel geringer. „Das Gesetz müsste schon sehr geschickt formuliert sein, um vor Gericht Bestand zu haben.“ Die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus hatte auf ihrer Fraktionsklausur Anfang März 2021 einen Diskussionsentwurf für ein „Gesetz zur Überführung von Grundstücken der Wohnungsunternehmen in gemeinschaftliches Eigentum“ vorgelegt, der dem Senat als Vorschlag dienen soll.

Im Mai legten die Initiatoren des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ dann mit einem eigenen Entwurf für ein „Gesetz zur Überführung von Wohnimmobilien in Gemeineigentum (Vergesellschaftungsgesetz -VergG)“ nach, der dem Senat die Möglichkeit eröffnen soll, „direkt mit der Umsetzung zu beginnen“, hieß es.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ beruft sich in ihrem Gesetzentwurf auf Artikel 15 des Grundgesetzes (GG), wonach „Grund und Boden, Bodenschätze und Produktionsmittel“ in Gemeineigentum überführt werden können – Vergesellschaftung genannt.

Der Eigentümer der zu vergesellschaftenden Immobilien – nicht die Unternehmen selbst, sondern deren zu Wohnzwecken genutzte Grundstücke und Gebäude – soll dann eine Anstalt des öffentlichen Rechts werden („Wohnen als Gemeingut“). Der Wohnungsbestand soll nie wieder privatisiert werden. Staatliche und gemeinnützige Unternehmen sowie die Berliner Genossenschaften sollen von den Regelungen ausgenommen werden, wie der Jurist Sebastian Schneider, der an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt war, erläutert.

Entscheidend für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit sei der Unterschied zwischen der Enteignung – auf die der Name der Initiative abzielt – und der Vergesellschaftung, wie sie im Gesetzentwurf gefordert wird, schreibt Benedikt Wolfers, Rechtsanwalt und Partner der Berliner Kanzlei Posser Spieth Wolfers & Partner, in einem Gastbeitrag im „Tagesspiegel“. Seiner Meinung nach scheitert das Projekt schon an der Berliner Landesverfassung, die eine Vergesellschaftung gar nicht zulässt. Wolfers hatte unter anderem bereits die Wohnungsbaugesellschaft Deutsche Wohnen vertreten.

Würde Berlin Milliarden kosten

Rund ein Dutzend Berliner Unternehmen mit insgesamt mehr als 240.000 Mietwohnungen wären von einer Vergesellschaftung betroffen. Allein die börsennotierte Deutsche Wohnen Gruppe, gegen die sich die Initiative besonders richtet und die kurz vor der Übernahme durch den Konkurrenten Vonovia steht, verfügt über einen Bestand von rund 116.000 Wohnungen allein im Berliner Raum.

Nach einer Schätzung des Senats würde die Entschädigung das ohnehin hoch verschuldete Berlin zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten. Die „Enteignung Deutsche Wohnen & Co.“ rechnet nur mit insgesamt rund zehn Milliarden Euro.

"Deutsche Wohnen & Co. enteignen": Der Weg zum Volksentscheid
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“: Der Weg zum Volksentscheid „Enteignung“

Die Aktivisten wollen die Immobilienunternehmen nicht mit Geld entschädigen, sondern ihnen sogenannte Entschädigungsanleihen ausgeben – Wertpapiere mit dem Nennwert der Entschädigungssumme. Die Anleihen sollen über einen Zeitraum von 40 Jahren getilgt werden. Refinanziert werden soll das Ganze aus den Mieteinnahmen. Die Initiative geht von einer vergleichsweise niedrigen Nettomiete von 4,04 Euro pro Quadratmeter aus, die auch für armutsgefährdete Haushalte als erschwinglich gilt.

Die bisherige rot-rot-grüne Koalition in Berlin hat sich nicht auf eine Linie einigen können. Die Linkspartei hat die Initiative von Anfang an unterstützt und sogar Unterschriften gesammelt. Mehr als 32.000 wurden gesammelt. Die SPD, mit Ausnahme der Jusos, hat sich konsequent gegen die Sozialisierung ausgesprochen – ebenso wie Teile der Grünen und der Oppositionsparteien.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja etwa warf der Initiative vor, die Menschen über den Tisch zu ziehen. Die Kosten für die Entschädigung führten Berlin in den finanziellen Ruin. CDU-Landeschef Kai Wegner sagte, den Berlinern drohten Miet- und Steuererhöhungen zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen. Die Wohnungsbauziele könnten nur mit privaten Partnern erreicht werden, so Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Die Wohnungswirtschaft warnte wiederholt, schon die Debatte um die Enteignung schrecke Investoren ab. Das Instrument sei „völlig ungeeignet“, um die Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu lösen, sagte der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU): Mehr – auch geförderter – Wohnungsbau sei dringend notwendig. Deutsche Wohnen-Hauptgeschäftsführer Michael Zahn sprach von einem „Versuch der unrechtmäßigen Enteignung“.

Die Berlinerinnen und Berliner hingegen standen dem Bündnis „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ von Anfang an wohlwollend gegenüber. Da bis zum 25. Juni 2021 – also innerhalb der Frist seit dem Startschuss für die zweite Phase des Volksentscheids am 26. Februar 2021 – eine ausreichende Zahl von Berlinerinnen und Berlinern (sieben Prozent der Wahlberechtigten des Abgeordnetenhauses) eine gültige Stimme abgegeben hatte, wurde der Volksentscheid überhaupt durchgeführt und fand schließlich wie eine Wahl am 26. September 2021 statt.

Im Juni waren knapp 273.000 Unterschriften geprüft worden. 183.711 davon waren gültig, teilte die Landeswahlleitung mit. 171.783 gültige Stimmen – rund sieben Prozent der Wahlberechtigten Berlins – wären nötig gewesen. Insgesamt hatte die Initiative mehr als 359.000 Unterschriften eingereicht. Nach einer Regelung im Wahlgesetz müssen die Bezirksämter aber nur so lange zählen, bis das Quorum erreicht ist.

In einer Stellungnahme vom 20. Juli 2021 unterstützte der bisherige rot-rot-grüne Berliner Senat grundsätzlich das Anliegen der Initiatoren, den Anteil der gemeinwohlorientierten Wohnungseigentümer zu erhöhen, wies aber auch darauf hin, dass die Umsetzung der Ziele des Volksbegehrens nur durch ein politisch und rechtlich umstrittenes Sozialgesetz erreicht werden könne.

(FW)

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